... und einen Perspektivwechsel vollziehen: dies hat sich die Klasse SP16D am 27.05.2019 – kurz vor Beendigung Ihrer Ausbildung – vorgenommen. „Obdachlosigkeit in Bremen“, organisiert durch die Innere Mission Bremen und hier speziell durch ihren ehrenamtlichen Mitarbeiter Cäsar und den ehemaligen obdachlosen Begleiter Stefan, öffnete uns die Augen für die Probleme dieses Personenkreises.
In Bremen leben nach einer Schätzung der Inneren Mission ca. 550 Obdachlose. In einigen Bereichen - z.B. rund um den Bahnhof – wurden sie durch die Polizeimaßnahme „Programm für mehr Sauberkeit, Sicherheit und Aufenthaltsqualität am Bahnhof“ aus dem Nelson-Mandela-Park gleich neben der Bürgerweide, den alten Lagerhäusern am Güterbahnhof und dem Bahnhofsareal vertrieben. Dort ist der Aufenthalt und das „Schnorren“ verboten. Als neuer „Sammelplatz“ und Unterstand wurde ein kleiner vergitterter „Käfig“ neben dem Gustav-Deetjen-Tunnel an der Ostseite des Hauptbahnhofs mit einer Toilette geschaffen, in dem sich Sucht- und Alkoholkranke sowie Wohnungslose aufhalten dürfen. Dieses nicht sehr angenehme Areal, das allerdings mit einer Toilette versehen ist, ist jedoch nur zeitweise geöffnet.
Die Bahnhofsmission bietet Obdachlosen auch nur für ca. eine halbe Stunde am Tag Aufenthaltsmöglichkeiten. Sie ist die erste Anlaufstation, wenn man obdach- bzw. wohnungslos ist. Der uns begleitende Stefan, der über schwierige Familienverhältnisse in die Drogenabhängigkeit geraten ist, einen Gefängnisaufenthalt wegen Diebstahls und Drogenhandels verbüßte und dadurch in den Teufelskreis der Wohnungslosigkeit geriet, berichtet sehr eindringlich von den Nöten und Problemen dieses Personenkreises. Cäsar zeigt den Auszubildenden weitere Lebensläufe auf, so dass uns schnell klar wird, wie leicht man in eine derartige Situation geraten kann. Ursachen der Obdachlosigkeit sind häufig „kritische Lebenssituationen“ z.B. nach einer Trennung, dem Verlust der Arbeitsstelle, Verschuldung u.a..
Die Begriffe Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit werden oft synonym verwendet, haben aber unterschiedliche Bedeutungen: Obdachlosigkeit ist ein Teil der Wohnungslosigkeit. Als obdachlos werden Personen bezeichnet, die weder festen Wohnsitz noch Unterkunft haben. Sie übernachten auf der Straße, also in Parks, Bushaltestellen oder U-Bahnstationen.
Wohnungslos sind dagegen Menschen ohne Mietvertrag. Sie schlafen bei Freunden und Bekannten, in Notunterkünften oder staatlich finanzierten Wohnheimen.
Uns wird ebenfalls von den nächtlichen Problemen der Obdachlosen mit angetrunkenen und randalierenden Jugendlichen berichtet. So hat z.B. ein Unbekannter am 12.05.2019 an den Hamburger Landungsbrücken die Haare eines 52 Jahre alten Obdachlosen angezündet, während dieser auf einer Bank schlief. Aber es wird uns von weitaus größeren Brutalitäten gegenüber Obdachlosen berichtet.
Rund ein Viertel aller Obdachlosen sind Frauen. Warum nimmt man diese so selten wahr?
Viele von ihnen leben in einer verdeckten Wohnungslosigkeit – sie versuchen, ihren Status zu verbergen. Frauen – so erfahren wir – haben ein größeres Schamgefühl, pflegen sich stärker, so dass sie seltener als Obdachlose wahrgenommen werden. Frauen leben nach einem Wohnungsverlust häufig in Provisorien und unsicheren Wohnverhältnissen. Sie schlupfen bei Bekannten oder Verwandten unter und lassen sich notgedrungen auch auf das Übernachten bei Zweckpartnern und Zufallsbekanntschaften ein.
Wie können wir Obdachlosen auf der Straße helfen? Z.B. indem wir ihnen „auf Augenhöhe“ begegnen. Helfen Sie Obdachlosen, wenn ihnen Gewalt angetan wird und schauen Sie nicht vorbei! Wir sollten uns auch von dem Gedanken lösen, dass wir bestimmen können, was der oder die Obdachlose zu essen oder zu trinken hat. Jeder von ihnen weiß besser, wofür er/sie das erbettelte Geld am dringendsten benötigt. Und sei es für die nächste Flasche Alkohol. Kaufen Sie die „Zeitschrift der Straße“! Obdachlose können hiermit ihren täglichen Lebensunterhalt selbst finanzieren und verdienen.
Wir erhielten viele Eindrücke und Informationen , wie der Staat bzw. vor allem freiwillige Träger dieser Personengruppe helfen. Trotzdem gibt es viel zu wenig Wohnraum für Obdachlose, die sich – bis auf ganz wenige Ausnahmen – durchaus ein Leben wie wir es gewohnt sind, wünschen.
Dietmar Nogai, Fachleiter Spedition